Samstag, 21. April 2012

Begründung und Gedanken zu perspektivischen Verfahrensweisen zur Überwindung der Staatsschulden- und Wachstumskrise in der europäischen Union

1) Zur Ausgangssituation


Die Krise der europäischen Union bezieht sich seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Anschluß an die Überschuldungskrise der US-Hypothekenmärkte auf mehrere Aspekte:

Ø      Zum Einen erhielt, durch die Konsolidierungsbemühungen der EU-Staaten, der langjährige Trend zur Verletzung der Maastricht-Kriterien hinsichtlich des 60%-Kriteriums neue Nahrung
während

Ø      zum Anderen sich herausstellte, daß eine ausufernde Staatsverschuldung sich als erhebliches Hemmnis für eine verstetigende Wachstumspolitik erweist.

Eine umfassende Konzeption für die Neuausrichtung der europäischen Wachstumsstrategie, weg von der stets momentbezogenen Krisenbewältigung hin zu einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik, zugleich verbunden mit einer Beruhigung der Spannungen an den Finanzmärkten, kann und muß Gebot der Stunde sein.

2) Risiken der aktuellen Finanzverfassung


Die Gründe die eine Anpassung der Finanzverfassung im EURO-Raum zur Unterstützung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes erforderlich erscheinen lassen, finden sich in folgenden Punkten:

Ø      Von den Finanzmärkten wird das Erreichen der 100% Staatsschuldenquote mit äußerstem Mißtrauen begleitet, so daß davon ausgegangen werden kann, daß eine weitere Erhöhung der Schuldenstände zu untragbaren Zinslasten führen wird.
Ø      Die Finanzpolitik der EZB führt zu einem Reputationsverlust, welcher die Attraktivität des EURO als Reservewährung auf den internationalen Finanzmärkten in Frage stellt.
Ø      Die Beibehaltung eines niedrigen Zinsniveaus trägt zwar einerseits zu einem hohen ‚spread’ bei, der es den Banken ermöglicht, eingetretene Verlusten aus einer besseren Zinsmarge kompensieren zu können, bedeutet jedoch andererseits auch, daß – in Verbindung mit der Vollzuteilungspolitik des EZB-Systems – daß der Hang zu einer unsoliden Geschäftspolitik keinen fühlbaren zinsinduzierten Druck auf die Einhaltung erhöhter Bonitätsanforderungen ausübt.
Ø      Die Sparbemühungen der Staaten der EURO-Zone führen in der Tendenz zu einer Abschwächung der konjunkturellen Entwicklung, die eine Verstetigung des Wachstums in der EURO-Zone unwahrscheinlicher macht.
Ø      Es erfolgt ein ‚quantitative easing’ über Kanäle, die dem Geist der Stabilitätsunion zuwidersprechen und das in dieser Form lediglich zu einer Perpetuierung hoher Schuldenstände führt, ohne daß es zu einer Umlenkung der Finanzströme in produktive Investitionen kommt.

3) Strukturelle Problembereiche der EURO-Zone


Die ökonomischen Gründe, die in der Konzipierung des EZB-Systems zu finden sind, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Ø      Die Installierung eines nach demokratischem Verfahren (ein Land, eine Stimme) organisierten Abstimmungsprozesses führt zu einer systematischen Unterlegenheit der Stabilitätsfraktion im EZB-Rat.
Ø      Der Hang der nationalen Zentralbanken, hauptsächlich die Staatsanleihen des "eigenen" Staates vorbehaltlos als Sicherheit für die Ausgabe von Zentralbankgeld zu akzeptieren, führt dazu, daß die nationalen Risikoaspekte nicht in die Refinanzierungsbedingungen der jeweiligen Geschäftsbanken Eingang finden.
Ø      Die Durchleitung von Liquidität sowohl für Außenhandelsdefizite sowie für Kapitalflucht über den bedingungslosen Saldenausgleich des TARGET2-Systems führt zu einer unabdingbaren Refinanzierungsnotwendigkeit des anspruchnehmenden (überweisenden) nationalen Bankensystems über die kreditgewährende (intern) bzw. kreditnehmende (extern) nationale Zentralbank, mit der Folge der zunehmenden Verschlechterung der Besicherungsgrundlagen der Geldschöpfung derjenigen Banken, die den entsprechenden Zentralbankgeldabfluß zu garantieren haben.
Ø      Die Nutzung der ELA-Fazilitäten ohne die Bereitschaft, die globalen Rahmenrichtlinien des EZB-Rates einzuhalten führt zu einer Unterlaufung der EZB-Stabilisierungspolitik.
Ø      Die Festlegung des Primärziels des EZB-Systems auf die Erhaltung der Stabilität der Währung, verstanden als 2%-Ziel eines die EURO-Zone umfassenden Preisindex, führt in der Tendenz zu einer Vernachlässigung der wesentlich virulenteren Aufgabe, die bonitätstechnische Überwachung der Kreditinstitute sicherzustellen.

4) Grundlinien einer perspektivischen Gestaltung der EURO-Zone


Die Grundsätze, von denen sich das darzustellende Verfahren leiten läßt, sind in folgenden Punkten zusammengefaßt:

Ø      Die Erfüllung von Verträgen – auch ihrem Geist nach - ist eine unverrückbare Grundlage gesellschaftlicher und internationaler Kooperationsbeziehungen.
Ø      Die drohende Überschuldung fast der gesamten EURO-Gemeinschaft bedarf einer Entlastung, da sich die erreichten Schuldenstände in Zukunft als zu große Belastung zur Aufrechterhaltung eines prosperierenden Gemeinwesens erweisen könnten.
Ø      Eine Abschreibung von Forderungen gegen eine öffentliche Hand hat automatisch zur Folge, daß daraufhin eine Abschreibung von Forderungen auch und insbesondere "kleinerer" Sparer erzwungen wird, da Lebensversicherungen und Pensionsfonds einen erheblichen Anteil an der Finanzierung staatlicher Schuldenstände haben. Insbesondere dieser Aspekt stellt erheblichen sozialen und politischen Sprengstoff dar.
Ø      Die EURO-Zone ist finanztechnisch bisher noch nicht in gleicher Weise überschuldet, wie es bei der USDollar-Zone gegeben ist, da es in der EURO-Zone bisher noch nicht zu einer erheblichen Schuldenakkumulation der Zentralgewalt gekommen ist. (EURO-Bonds)
Ø      Die Dämonisierung der Finanzmärkte in Teilen der Öffentlichkeit übersieht, daß die Operationsweise von Finanzmärkten ein Spiegelbild der jeweiligen regulativen Struktur ist. Dennoch tragen die Banken eine gesellschaftlich tragende Rolle und sind daher in einer Wachstumsorientierung der Wirtschaftspolitik in entsprechender Weise mit eingebunden.
Ø      Die Erkenntnis, daß die Errichtung einer tragfähigen und nachhaltigen europäischen Währung bisher schon in Teilbereichen geglückt ist, begründet die aussichtsreiche Perspektive, daß mit einer zielgerichteten Nachjustierung in den problematischen Gestaltungsfragen zu einer nachhaltigen Lösung zugunsten aller beteiligten Staaten der EURO-Gemeinschaft gefunden werden kann.

5) Maßnahmen zur nachhaltigen Konsolidierung der EURO-Zone


5.1) Schuldenliquidisierung statt Schuldenschnitt


Zur Abwehr der derzeitigen Turbulenzen an den Kapitalmärkten wäre es sachgerecht und erforderlich EINMALIG einen "Lastenfonds Bankenrettung" aufzulegen, der von ALLEN Staaten der EURO-Zone einen Teil des Schuldenstandes übernimmt und so die Staatsschuldenquoten tendenziell Richtung Maastricht-konformen 60% drückt.

5.2) Neutralisierung der Schuldenlasten, Konsolidierungsbeitrag der EZB


Zur Konsolidierung der laufenden Defizite könnte dieser Teil der Staatsschulden, als 'consols' umgewidmet zu einem "Erinnerungszinssatz" von 0,1% (alternativ zu 10%, wobei die Zinserträge nach Einhaltung der Stabilitätskriterien verteilt werden) von der EZB oder einem von der EZB refinanzierten Sonderfonds gehalten werden. Dies kann mit Hilfe einer darauf abgestimmten Strukturpolitik zu einer Wachstumsphase führen, welche den Fehler vermeidet, eine Stimulierung der Realwirtschaft nur über die Beeinflussung des Zinssatzes erreichen zu wollen.

5.3) Emissionsverfahren Zentralbankgeld


Im Gegensatz zur gegenwärtigen Politik des EZB-Systems gibt die EZB ihre Vollzuteilungspolitik auf und geht dazu über Zentralbankgeld im Zinstenderverfahren amerikanischen Typs zu emittieren womit sich automatisch der Zinsfächer, der sich nach der Bonität der jeweiligen Geschäftsbank richtet, wieder aufspreizt, und so die Zunahme des Zentralbankgeldvolumens tendenziell wieder rückgängig gemacht wird.

5.4) Konsolidierung der Staatshaushalte


Die beteiligten Staaten verpflichten sich, die aus der Umwidmung der anteiligen Staatsschulden entfallenden Zins-Zahlungsverpflichtungen unmittelbar für die Reduktion des laufenden Staatsdefizits zu verwenden, so daß innerhalb weniger Jahre eine Rückkehr zu den immer noch gültigen Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages zu erreichen sein könnte.

5.5) Beschränkungen der Refinanzierungsoptionen von NZBen


ELA-Fazilitäten dürfen nur zu einem Prohibitivzins erteilt werden, deren Erträge nach z.B. einem Stabilitätskriterium verteilt werden.
TARGET2-Salden werden nicht mehr nach dem einheitlichen EZB-Refinanzierungssatz sondern nach banküblichen Sätzen plus Stabilitätsprämie vergeben, die auch die Einschätzung des Kreditors über die Bonität des mittelbar in Anspruch nehmenden nationalen Bankensystems berücksichtigt.

5.6) Stimmverteilung im EZB-Rat


Die Stimmverteilung des EZB-Systems wird dahingehend geändert, daß die Stimmgewichte nach Maßgabe z.B. der Quote am EZB-System bestimmt werden.

5.7) Stärkung der europäischen Bankaufsicht (EBA)


Zur Vermeidung nicht nachhaltiger Finanzierungspraktiken in Problemländern sind die Kompetenzen der EBA zu erweitern, um so zu einer Effektivierung der Kontrolle hinsichtlich der Wahrung eines europäischen Bonitätsniveaus zu kommen. Wahlweise könnte eine Task-Force Bankenbonität für die spezifischen Probleme des EURO-Raumes installiert werden, um Interferenzen mit nicht EURO-Mitgliedern zu vermeiden.

6) Flankierende Maßnahmen zur Wachstumsförderung


Die Effekte des hier vorgeschlagenen (und unvermeidlichen) QE sind im Gegensatz zu den Erfahrungen der USA (wo sich gezeigt hat, daß die Erwartung einer Belebung der Wirtschaftstätigkeit allein über eine zinsinduzierte Transmission unbegründet war) darauf ausgerichtet, das allgemeine Verschuldungsniveau der EURO-Staaten zu senken. Die Liquidisierung der Investoren hat jedoch nicht die Stützung von Wertpapierkursen bzw. dazu korrespondierende Zinssenkungen zum Ziel, sondern die Finanzierung von unternehmerischen Potentialen. Einige wesentliche Lenkungsmaßnahmen könnten sein:

Ø      die Förderung der Bildung von Eigenkapital durch eine Anpassung der steuerlichen Vorschriften, welche derzeit die Finanzierung über Kredit gegenüber der Finanzierung über Eigenkapital bevorzugt. Dieser programmatische Punkt findet sich auch bereits in dem gegenwärtigen Koalitionsvertrag.
Ø      Erleichterung bei der Akquise von Eigenkapital, Entschlackung der Vorschriften bei Aktienemissionen
Ø      Erleichterung von ‚debt-to-equity swaps’ und Ausrichtung des Regelverfahrens bei drohender oder eingetretener Insolvenz am „Chapter 11“-Verfahren.
Ø      Die positiven Wirkungen, welche die „Abwrackprämie“ während der Krise entfalten konnte, läßt es aussichtsreich erscheinen ebenso Industrie- und Wirtschaftsförderung zu betreiben, indem man zur Investitionsförderung z.B. Steuergutschriften gewährt, die gegen Einkommens- oder Gewinnsteuern bis zu einem bestimmten Prozentsatz gegengerechnet werden können.

Die globale Zielrichtung besteht darin, daß Kreditkonsolidierung Vorrang vor Kreditakkumulation erhält und damit ein zusätzlicher automatischer Stabilisator zur Absicherung gegen konjunkturelle Risiken seine Wirkung entfalten kann.

7) Schlußbemerkungen


Die derzeitige Schuldenkrise von (bisher) einzelnen EURO-Staaten läßt keine Alternative zu einem europäischen QE zu, d.h. das derzeit anlaufende QE ist alternativenindifferent. Die Alternative die zu wählen ist, ist entweder die Perpetuierung des Staatsschuldenwachstums, welches einen permanenten Krisenmodus der europäischen Politik impliziert, oder die Stimulierung privater unternehmerischer Investitionen, deren Wachstumswirkungen – hier bietet sich zuvorderst der Energiesektor aufgrund der eingeschlagenen Energiepolitik an – zu solide finanzierter Beschäftigung und damit einer tendenziellen Entlastung der Versorgungspflichten der öffentlichen Hand beitragen.

Es ist zu erwarten, daß das vorgestellte (zu vervollständigende) Maßnahmenbündel dazu beiträgt, die Debatte um den Stabilitätsanspruch der EURO-Zone wieder auf die Füße zu stellen und die dirigistische sowie die destruktive Lösung - die Etablierung eines EU-Finanzministeriums mit Transferunion bzw. den Ausschluß eines EURO-Staates - überflüssig zu machen. Wo finanzielle Dinge anständig geregelt sind, wird ein "EU-Finanzminister", dessen staatsrechtliche Legitimation – auch hinsichtlich des einschlägigen Urteils des Bundesverfassungsgerichtes - derzeit bestenfalls im Nebulösen angesiedelt ist, entbehrlich. Denn in der Geldpolitik geht es nicht primär darum, durch welche Instrumente, für welche Zwecke Geld bewilligt werden kann; das ist erst die sekundäre Operation. Ziel von Geldpolitik ist primär die Etablierung eines einheitlichen Bonitätsniveaus, welches die Grundvoraussetzung ist, daß interregionale Salden einer Währungsgemeinschaft eben nicht zu strukturellen Defiziten führen, wie es in der Vergangenheit geschehen ist und somit die Freiheit des ordentlichen Kaufmanns und des verantwortungsvoll operierenden Staatswesens auch in Zukunft erhalten werden kann.

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