1) Zur Ausgangssituation
Die Krise der europäischen Union bezieht sich seit dem
Ausbruch der Finanzkrise im Anschluß an die Überschuldungskrise der
US-Hypothekenmärkte auf mehrere Aspekte:
Ø
Zum Einen erhielt, durch die
Konsolidierungsbemühungen der EU-Staaten, der langjährige Trend zur Verletzung
der Maastricht-Kriterien hinsichtlich des 60%-Kriteriums neue Nahrung
während
Ø
zum Anderen sich herausstellte, daß eine
ausufernde Staatsverschuldung sich als erhebliches Hemmnis für eine
verstetigende Wachstumspolitik erweist.
Eine umfassende Konzeption für die Neuausrichtung der europäischen
Wachstumsstrategie, weg von der stets momentbezogenen Krisenbewältigung hin zu
einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik, zugleich verbunden mit einer
Beruhigung der Spannungen an den Finanzmärkten, kann und muß Gebot der Stunde
sein.
2) Risiken der aktuellen Finanzverfassung
Die Gründe die eine Anpassung der Finanzverfassung im
EURO-Raum zur Unterstützung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes erforderlich
erscheinen lassen, finden sich in folgenden Punkten:
Ø
Von den Finanzmärkten wird das Erreichen der
100% Staatsschuldenquote mit äußerstem Mißtrauen begleitet, so daß davon
ausgegangen werden kann, daß eine weitere Erhöhung der Schuldenstände zu
untragbaren Zinslasten führen wird.
Ø
Die Finanzpolitik der EZB führt zu einem
Reputationsverlust, welcher die Attraktivität des EURO als Reservewährung auf
den internationalen Finanzmärkten in Frage stellt.
Ø
Die Beibehaltung eines niedrigen Zinsniveaus
trägt zwar einerseits zu einem hohen ‚spread’ bei, der es den Banken
ermöglicht, eingetretene Verlusten aus einer besseren Zinsmarge kompensieren zu
können, bedeutet jedoch andererseits auch, daß – in Verbindung mit der
Vollzuteilungspolitik des EZB-Systems – daß der Hang zu einer unsoliden
Geschäftspolitik keinen fühlbaren zinsinduzierten Druck auf die Einhaltung
erhöhter Bonitätsanforderungen ausübt.
Ø
Die Sparbemühungen der Staaten der EURO-Zone
führen in der Tendenz zu einer Abschwächung der konjunkturellen Entwicklung,
die eine Verstetigung des Wachstums in der EURO-Zone unwahrscheinlicher macht.
Ø
Es erfolgt ein ‚quantitative easing’ über
Kanäle, die dem Geist der Stabilitätsunion zuwidersprechen und das in dieser
Form lediglich zu einer Perpetuierung hoher Schuldenstände führt, ohne daß es
zu einer Umlenkung der Finanzströme in produktive Investitionen kommt.
3) Strukturelle Problembereiche der EURO-Zone
Die ökonomischen Gründe, die in der Konzipierung des
EZB-Systems zu finden sind, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
Ø
Die Installierung eines nach demokratischem
Verfahren (ein Land, eine Stimme) organisierten Abstimmungsprozesses führt zu
einer systematischen Unterlegenheit der Stabilitätsfraktion im EZB-Rat.
Ø
Der Hang der nationalen Zentralbanken,
hauptsächlich die Staatsanleihen des "eigenen" Staates vorbehaltlos
als Sicherheit für die Ausgabe von Zentralbankgeld zu akzeptieren, führt dazu,
daß die nationalen Risikoaspekte nicht in die Refinanzierungsbedingungen der
jeweiligen Geschäftsbanken Eingang finden.
Ø
Die Durchleitung von Liquidität sowohl für
Außenhandelsdefizite sowie für Kapitalflucht über den bedingungslosen Saldenausgleich
des TARGET2-Systems führt zu einer unabdingbaren Refinanzierungsnotwendigkeit
des anspruchnehmenden (überweisenden) nationalen Bankensystems über die
kreditgewährende (intern) bzw. kreditnehmende (extern) nationale Zentralbank,
mit der Folge der zunehmenden Verschlechterung der Besicherungsgrundlagen der
Geldschöpfung derjenigen Banken, die den entsprechenden Zentralbankgeldabfluß
zu garantieren haben.
Ø
Die Nutzung der ELA-Fazilitäten ohne die
Bereitschaft, die globalen Rahmenrichtlinien des EZB-Rates einzuhalten führt zu
einer Unterlaufung der EZB-Stabilisierungspolitik.
Ø
Die Festlegung des Primärziels des EZB-Systems
auf die Erhaltung der Stabilität der Währung, verstanden als 2%-Ziel eines die
EURO-Zone umfassenden Preisindex, führt in der Tendenz zu einer
Vernachlässigung der wesentlich virulenteren Aufgabe, die bonitätstechnische
Überwachung der Kreditinstitute sicherzustellen.
4) Grundlinien einer perspektivischen Gestaltung der EURO-Zone
Die Grundsätze, von denen sich das darzustellende Verfahren
leiten läßt, sind in folgenden Punkten zusammengefaßt:
Ø
Die Erfüllung von Verträgen – auch ihrem Geist
nach - ist eine unverrückbare Grundlage gesellschaftlicher und internationaler
Kooperationsbeziehungen.
Ø
Die drohende Überschuldung fast der gesamten
EURO-Gemeinschaft bedarf einer Entlastung, da sich die erreichten
Schuldenstände in Zukunft als zu große Belastung zur Aufrechterhaltung eines prosperierenden
Gemeinwesens erweisen könnten.
Ø
Eine Abschreibung von Forderungen gegen eine öffentliche
Hand hat automatisch zur Folge, daß daraufhin eine Abschreibung von Forderungen
auch und insbesondere "kleinerer" Sparer erzwungen wird, da
Lebensversicherungen und Pensionsfonds einen erheblichen Anteil an der
Finanzierung staatlicher Schuldenstände haben. Insbesondere dieser Aspekt
stellt erheblichen sozialen und politischen Sprengstoff dar.
Ø
Die EURO-Zone ist finanztechnisch bisher noch
nicht in gleicher Weise überschuldet, wie es bei der USDollar-Zone gegeben ist,
da es in der EURO-Zone bisher noch nicht zu einer erheblichen
Schuldenakkumulation der Zentralgewalt gekommen ist. (EURO-Bonds)
Ø
Die Dämonisierung der Finanzmärkte in Teilen der
Öffentlichkeit übersieht, daß die Operationsweise von Finanzmärkten ein
Spiegelbild der jeweiligen regulativen Struktur ist. Dennoch tragen die Banken eine
gesellschaftlich tragende Rolle und sind daher in einer Wachstumsorientierung
der Wirtschaftspolitik in entsprechender Weise mit eingebunden.
Ø
Die Erkenntnis, daß die Errichtung einer
tragfähigen und nachhaltigen europäischen Währung bisher schon in Teilbereichen
geglückt ist, begründet die aussichtsreiche Perspektive, daß mit einer
zielgerichteten Nachjustierung in den problematischen Gestaltungsfragen zu
einer nachhaltigen Lösung zugunsten aller beteiligten Staaten der
EURO-Gemeinschaft gefunden werden kann.
5) Maßnahmen zur nachhaltigen Konsolidierung der EURO-Zone
5.1) Schuldenliquidisierung statt Schuldenschnitt
Zur Abwehr der derzeitigen Turbulenzen an den Kapitalmärkten
wäre es sachgerecht und erforderlich EINMALIG einen "Lastenfonds
Bankenrettung" aufzulegen, der von ALLEN Staaten der EURO-Zone einen Teil
des Schuldenstandes übernimmt und so die Staatsschuldenquoten tendenziell
Richtung Maastricht-konformen 60% drückt.
5.2) Neutralisierung der Schuldenlasten, Konsolidierungsbeitrag der EZB
Zur Konsolidierung der laufenden Defizite könnte dieser Teil
der Staatsschulden, als 'consols' umgewidmet zu einem
"Erinnerungszinssatz" von 0,1% (alternativ zu 10%, wobei die Zinserträge
nach Einhaltung der Stabilitätskriterien verteilt werden) von der EZB oder
einem von der EZB refinanzierten Sonderfonds gehalten werden. Dies kann mit
Hilfe einer darauf abgestimmten Strukturpolitik zu einer Wachstumsphase führen,
welche den Fehler vermeidet, eine Stimulierung der Realwirtschaft nur über die
Beeinflussung des Zinssatzes erreichen zu wollen.
5.3) Emissionsverfahren Zentralbankgeld
Im Gegensatz zur gegenwärtigen Politik des EZB-Systems gibt
die EZB ihre Vollzuteilungspolitik auf und geht dazu über Zentralbankgeld im
Zinstenderverfahren amerikanischen Typs zu emittieren womit sich automatisch
der Zinsfächer, der sich nach der Bonität der jeweiligen Geschäftsbank richtet,
wieder aufspreizt, und so die Zunahme des Zentralbankgeldvolumens tendenziell
wieder rückgängig gemacht wird.
5.4) Konsolidierung der Staatshaushalte
Die beteiligten Staaten verpflichten sich, die aus der
Umwidmung der anteiligen Staatsschulden entfallenden
Zins-Zahlungsverpflichtungen unmittelbar für die Reduktion des laufenden
Staatsdefizits zu verwenden, so daß innerhalb weniger Jahre eine Rückkehr zu
den immer noch gültigen Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages zu
erreichen sein könnte.
5.5) Beschränkungen der Refinanzierungsoptionen von NZBen
ELA-Fazilitäten dürfen nur zu einem Prohibitivzins erteilt werden,
deren Erträge nach z.B. einem Stabilitätskriterium verteilt werden.
TARGET2-Salden werden nicht mehr nach dem einheitlichen EZB-Refinanzierungssatz
sondern nach banküblichen Sätzen plus Stabilitätsprämie vergeben, die auch die Einschätzung
des Kreditors über die Bonität des mittelbar in Anspruch nehmenden nationalen Bankensystems
berücksichtigt.
5.6) Stimmverteilung im EZB-Rat
Die Stimmverteilung des EZB-Systems wird dahingehend geändert,
daß die Stimmgewichte nach Maßgabe z.B. der Quote am EZB-System bestimmt
werden.
5.7) Stärkung der europäischen Bankaufsicht (EBA)
Zur Vermeidung nicht nachhaltiger Finanzierungspraktiken in
Problemländern sind die Kompetenzen der EBA zu erweitern, um so zu einer
Effektivierung der Kontrolle hinsichtlich der Wahrung eines europäischen
Bonitätsniveaus zu kommen. Wahlweise könnte eine Task-Force Bankenbonität für
die spezifischen Probleme des EURO-Raumes installiert werden, um Interferenzen
mit nicht EURO-Mitgliedern zu vermeiden.
6) Flankierende Maßnahmen zur Wachstumsförderung
Die Effekte des hier vorgeschlagenen (und unvermeidlichen)
QE sind im Gegensatz zu den Erfahrungen der USA (wo sich gezeigt hat, daß die
Erwartung einer Belebung der Wirtschaftstätigkeit allein über eine
zinsinduzierte Transmission unbegründet war) darauf ausgerichtet, das
allgemeine Verschuldungsniveau der EURO-Staaten zu senken. Die Liquidisierung
der Investoren hat jedoch nicht die Stützung von Wertpapierkursen bzw. dazu
korrespondierende Zinssenkungen zum Ziel, sondern die Finanzierung von unternehmerischen
Potentialen. Einige wesentliche Lenkungsmaßnahmen könnten sein:
Ø
die Förderung der Bildung von Eigenkapital durch
eine Anpassung der steuerlichen Vorschriften, welche derzeit die Finanzierung
über Kredit gegenüber der Finanzierung über Eigenkapital bevorzugt. Dieser
programmatische Punkt findet sich auch bereits in dem gegenwärtigen
Koalitionsvertrag.
Ø
Erleichterung bei der Akquise von Eigenkapital,
Entschlackung der Vorschriften bei Aktienemissionen
Ø
Erleichterung von ‚debt-to-equity swaps’ und
Ausrichtung des Regelverfahrens bei drohender oder eingetretener Insolvenz am
„Chapter 11“-Verfahren.
Ø
Die positiven Wirkungen, welche die
„Abwrackprämie“ während der Krise entfalten konnte, läßt es aussichtsreich
erscheinen ebenso Industrie- und Wirtschaftsförderung zu betreiben, indem man
zur Investitionsförderung z.B. Steuergutschriften gewährt, die gegen
Einkommens- oder Gewinnsteuern bis zu einem bestimmten Prozentsatz
gegengerechnet werden können.
Die globale Zielrichtung besteht darin, daß Kreditkonsolidierung
Vorrang vor Kreditakkumulation erhält und damit ein zusätzlicher automatischer
Stabilisator zur Absicherung gegen konjunkturelle Risiken seine Wirkung
entfalten kann.
7) Schlußbemerkungen
Die derzeitige Schuldenkrise von (bisher) einzelnen
EURO-Staaten läßt keine Alternative zu einem europäischen QE zu, d.h. das
derzeit anlaufende QE ist alternativenindifferent. Die Alternative die zu
wählen ist, ist entweder die Perpetuierung des Staatsschuldenwachstums, welches
einen permanenten Krisenmodus der europäischen Politik impliziert, oder die Stimulierung
privater unternehmerischer Investitionen, deren Wachstumswirkungen – hier
bietet sich zuvorderst der Energiesektor aufgrund der eingeschlagenen
Energiepolitik an – zu solide finanzierter Beschäftigung und damit einer
tendenziellen Entlastung der Versorgungspflichten der öffentlichen Hand
beitragen.
Es ist zu erwarten, daß das vorgestellte (zu
vervollständigende) Maßnahmenbündel dazu beiträgt, die Debatte um den
Stabilitätsanspruch der EURO-Zone wieder auf die Füße zu stellen und die
dirigistische sowie die destruktive Lösung - die Etablierung eines
EU-Finanzministeriums mit Transferunion bzw. den Ausschluß eines EURO-Staates -
überflüssig zu machen. Wo finanzielle Dinge anständig geregelt sind, wird ein
"EU-Finanzminister", dessen staatsrechtliche Legitimation – auch
hinsichtlich des einschlägigen Urteils des Bundesverfassungsgerichtes - derzeit
bestenfalls im Nebulösen angesiedelt ist, entbehrlich. Denn in der Geldpolitik
geht es nicht primär darum, durch welche Instrumente, für welche Zwecke Geld bewilligt
werden kann; das ist erst die sekundäre Operation. Ziel von Geldpolitik ist primär
die Etablierung eines einheitlichen Bonitätsniveaus, welches die
Grundvoraussetzung ist, daß interregionale Salden einer Währungsgemeinschaft
eben nicht zu strukturellen Defiziten führen, wie es in der Vergangenheit
geschehen ist und somit die Freiheit des ordentlichen Kaufmanns und des
verantwortungsvoll operierenden Staatswesens auch in Zukunft erhalten werden kann.
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