Freitag, 27. April 2012

Allmende und kein Ende

Daß es eine Fehlkonstruktion im EZB-System gab ist schon richtig. Allerdings nicht die, die immer wieder kolportiert wird. Denn es ist falsch zu behaupten, daß der EURO-Fehler daran liegt, daß es keinen Finanzausgleich, keinen “Fiskalpakt”, kein EU-Finanzministerium oder ähnliche Bürokratiemonster gibt. Der Glaube, daß eine Währungsunion nur dann funktionieren könne, wenn es auch irgendwelche Kompensationsarrangements gibt ist so falsch wie nur irgendwas. Das sollte aus der Geschichte fehlgeschlagener "Modernisierungsversuche" der sogenannten "Entwicklungsländer" inzwischen mehr als eindeutig sein. Warum sich diese Behauptung immer noch hält ist nicht so leicht zu erklären. Aber wahrscheinlich hat das was damit zu tun, daß die Vorstellung, daß die Sozialvorstellung, der "Stärkere" hätte dem "Schwächeren" zu "helfen" immer noch - trotz gegenteiliger Erfahrungen - in den Köpfen von 'nation-designern' herumspukt! Klar, wenn man nicht auf das Geld schauen muß, kann man jedes Wohnzimmer exclusiv einrichten.

Wie aber H.W. Sinn jüngst richtig bemerkte, wächst das Geld nicht auf Bäumen. Genauer: Geld entsteht durch einen Kredit einer Zentralbank und wird durch Kreditverhältnisse ökonomisiert, deren Gegenstand davon geprägt ist, daß sie irgendwie bedient werden müssen - und nicht in jedem Fall zurückgezahlt werden müssen, wie es im Rahmen der Staatsschuldendebatte meist fälschlicherweise behauptet wird. (Warum das so ist, ist eine andere Geschichte.)

Was nun die Fehlkonstruktion an dem EZB-System angeht, läßt sich diese darin sehen, daß die politische Vorstellung, daß es im EURO-Raum mit einer einheitlichen Währungspolitik auch einen einheitlichen Zinssatz gibt, anscheinend bei der Errichtung der Währungsunion Pate gestanden hat. Aber wie das so ist, sind politische Wunschvorstellungen nicht davon geprägt, daß sie irgendwas mit ökonomischen Realitäten zu tun haben. Doch zunächst war das EURO-System von entsprechenden Begleitumständen geprägt, da mit der Einführung des EURO sofort die "Wohltaten" einer stabilen Währung, nämlich vergleichsweise niedrige Zinsen und Kredit ohne Ende, auf alle Beteiligten ausgeschüttet wurden. Das hat auch eine Weile funktioniert.

Die dahinterstehende Lebenslüge ist jedoch, daß allein aus gemeinschaftlich konzipierten Arrangements bereits ein "Gemeinschaftswohl" entstehen müsse. Nur: an dieser Stelle haben die Träumer der EURO-Konzeption die Rechnung ohne die alten Erfahrungen aus der Theorie der Allmende gemacht. Denn ein Gemeinschaftsgut wird immer wieder wegen der Vorstellung übernutzt, daß es ja nicht wesentlich auf einen selbst sondern auf andere zurückfällt, wenn das Gemeinschaftsgut irgendwann nicht mehr die Qualität aufweist, die es nach Maßgabe verantwortungsvoller Nutzung haben müßte. In Bezug auf die Bereitstellung von Zentralbankgeld heißt das, daß nicht nur wie zu Anfang die Annehmlichkeit niedriger Zinsen in Anspruch genommen wurde, sondern auch - wie die TARGET-Debatte zeigt - das Liquiditätspotential des EZB-Systems für die Finanzierung nicht nachhaltiger Wirtschaftspolitik mißbraucht wurde.

Man kommt da nicht drum herum: Kredit ist sowohl eine Preis- als auch eine Mengenfrage! Wenn aber wie in dem gegenwärtigen EURO-System beides eine Allmende ist, braucht man sich nicht zu wundern, daß diese durch diejenigen, die das Wort Stabilitätskultur im Lexikon nachschlagen müssen, aufs Gröblichste mißbraucht wird! Nur: die EURO-Regeln geben das her.

Im Klartext: die Verteilung der Liquidität im EURO-Raum, sowie die Preisgestaltung ist von den nationalen Zentralbanken nicht mehr steuerbar! Das war zwar die politische Intention - schließlich wollte man ja von dem "Zinsdiktat" der Bundesbank "befreit" werden - nur ist das Ergebnis schlimmer als das, was eine stabilitätsorientierte Geldpolitik der Bundesbank jemals hätte anrichten können: denn sobald eine NZB anfängt die Gemeinschaftsvorstellung von Stabilität zu verletzen, schädigt sie automatisch das Gemeinschaftsgut. (Für diejenigen, die sich immer auf die Geschichte berufen, daß Deutschland ja auch den Stabilitätspakt verletzt hätte: dafür gab es a) erhebliche Gründe und b) waren diese Gründe kein Argument dafür, den Stabilitätspakt dauerhaft und vorsätzlich zu verletzen - wie man in der Rückschau leicht erkennen könnte, wenn man es denn wollte.)

Der Kardinalfehler bei der Zusammenstellung der EURO-Belegschaft war der, daß sich die "Planer" davon haben leiten lassen, daß die bloße Einhaltung der Beitrittskriterien schon dazu Veranlassung gab, scheinbar gleiche Sachverhalte auch gleich zu behandeln. Die unausgesprochene Voraussetzung war natürlich, daß das auch nach Beitritt so bleibt. Das Problem dabei heißt jedoch 'post contractual opportunistic behavior' und ist natürlich bestens bekannt; nur dann nicht, wenn man mit Scheuklappen durch die politische Welt rennt. (Daß man sich bei der Deklaration der Erfüllung der Beitrittskonditionen über den Tisch ziehen läßt, ist eine andere Geschichte - die allerdings ziemlich uninteressant ist.) Wäre das von vornherein gesehen worden, wäre spätestens mit der Virulenz der TARGET-Salden die Alarmglocke losgegangen, d.h. vor über 3 Jahren! Denn normalerweise hätte der Inter-Zentralbankenmarkt bereits dafür gesorgt, daß dem Kreditbegehren der “Südflanke” sowohl ein Preis- als auch ein Mengenriegel vorgeschoben worden wäre. (Das war die Zeit, wo die Ratingagenturen noch in ihrem selbstbeweihräucherten Gesundheitsschlaf gelegen haben.) Die politisch verkorkste Konzeption des EURO-Systems hat jedoch die Selbstreinigungsmechanismen des EURO-Interbankenmarktes amputiert, so daß das Ergebnis auch nicht anders sein kann. Woran liegts? Das liegt daran, daß das TARGET-System das Kontrahendenrisiko, welches zwischen Geschäftsbanken bei Zweifeln an der Bonität einer Geschäftsbank sofort die Anpassung der Kreditkonditionen hervorrufen würde, wegen der Abwicklung über die nationalen Zentralbanken neutralisiert wird.

Wie H.W. Sinn jüngst sagte: "Wenn sich die Zinsen wieder ausspreizen nach der Bonität..." dann werden die Bonitätsrelationen wieder den tatsächlichen Bedingungen angepaßt! Und natürlich ist auch die Mengenkomponente maßgeblich, denn ein Gläubiger, der nach den Regeln eines ordentlichen Kaufmanns operiert wird nie einen Kredit ausreichen, von dem angenommen werden kann, daß der Schuldner damit in eine unhaltbare - neudeutsch: nicht nachhaltige - Situation gerät.

Und was kann man jetzt tun? Erstens muß man akzeptieren, daß das Kind in den Brunnen gefallen ist und dort wieder herausgeholt werden muß! Das bedeutet, daß europaweit die staatlichen Schuldenquoten wieder auf ein handhabbares Maß zurückgeschraubt werden.

Dafür kann man zum einen z.B. einen EURO-Fonds “Bankenrettung” mit Hilfe einer EU-Anleihe auflegen, der nicht nur die “Südflanke”, sondern auch die vermeintlich "starken" Länder des “Nordens” von ihrer Schuldenquote entlastet, die im Zuge der Bankenrettungen vielfach zu einer Überschreitung der Maastricht-Kriterien geführt hat. Es ist nämlich ein Irrtum zu vermuten, daß sich die Bonität Deutschlands nach xyz "Rettungspaketen" mittelfristig noch irgendwie darstellen läßt. Auch da tickt die Uhr schon und es ist keine Beruhigung, daß erst andere Länder "dran" sind! (Dagegen führt die Idee, einer EU-Einrichtung die Entscheidung darüber zu überlassen, wer wieviel an EURO-Bonds zugesprochen bekommt, in den direkten Untergang. So wird das nie was mit der Welt-Reservewährung; wie das geht kann man sich bei der Geschichte der DM ansehen!)

Das Zweite ist, daß unterschiedliche Dinge auch wieder unterschiedlich behandelt werden müssen. Es darf nicht sein, daß die normalen marktwirtschaftlichen Reaktionen, die sich in der freien Entscheidung über Kreditmengen und Zinssätzen widerspiegeln, unterbleiben und dadurch erst die Fehlsteuerung erfolgt, die sich in den Ungleichgewichten der Liquiditätsverteilung im Rahmen des TARGET-Systems zeigen. Das ist eine falsch verstandene EU-Vereinheitlichungspolitik! Der damalige französische Wunsch, vom "Zinsdiktat" der Bundesbank wegzukommen war zwar verständlich, nur daß dabei übersehen wurde, daß es - auch bei einem unterstellten Abhängigkeitsverhältnis - jedem nützt, die vorgegebenen Stabilitätskriterien einzuhalten! Das Beispiel von Österreich, Niederlande etc. zeigt eindrücklich, was die Vorteile der deutschen Stabilitätskultur sind.

Was lernt man daraus? Wenn in diesem Wirtschafts-Europa irgendetwas dringend vereinheitlicht werden muß, dann sind es die Qualitätsnormen der Kreditvergabe. Bei dieser Aufgabe haben offensichtlich auch die Basel II Kriterien keine rühmliche Rolle gespielt. Und auch die Konzession der EZB an die nationalen Zentralbanken selbst zu entscheiden, was als collateral akzeptabel ist, ist keine Entwicklung, die einen Beitrag zu einer Lösung der EURO-Krise leisten würde. Es geht kein Weg dran vorbei: die europäische Finanzaufsicht muß aus ihrem Schattendasein hinaustreten und die ihr gestellte Aufgabe mit Inhalt füllen. Erst wenn diese Aufgabe erfolgreich erledigt ist, kann man sich wieder europäischen Vereinheitlichungsphantasien hingeben!

Donnerstag, 26. April 2012

Privater Ertragsverlust statt Staatshaftung

Die Bundesregierung hat sich seit Eintreten der Finanzkrise in zwei Zwangslagen hineinmanövrieren lassen: Erstens Bankenrettung, zweitens Griechenlandrettung!

A: Die Bankenrettung war Ausdruck der Sorge um einen „Zusammenbruch“ des Bankensystems. Der Grund dafür, daß man überhaupt von einer Zusammenbruchsgefahr sprechen konnte war ja nicht etwa der “Zusammenbruch” einer bekannten Investmentbank, sondern die Konkursregeln, welche darauf hinwirkten, daß vielen Finanzmarktteilnehmern klar wurde, daß die Beachtung von Liquiditätsregeln nicht nur eine theoretische Bedeutung hat. Der gegenwärtige Stand der Dinge sieht vor, daß sowohl bei Illiquidität (Zahlungsunfähigkeit) sowie bei Überschuldung ein Konkursantrag gestellt werden muß! Dabei gilt im Zusammenhang mit Banken: Illiquidität kann IMMER durch die Zentralbank verhindert werden (auch und insbesondere im Falle eines bank-run) während Überschuldung bei einer Geschäftsbank im mittelfristigen Zeitablauf fast immer herauswächst, da die Aktivseite einer Bankbilanz i.d.R. schneller wächst als die Passivseite!

B: Die Griechenlandrettung war eine derivative Bankenrettung, da hier – wie bei A – die Folgen der Abschreibung von griechischen Staatspapieren Rückwirkungen auf den Vermögenstatus der Gläubigerbanken haben.

Ordnungspolitisch gesehen gibt es weder für A noch B eine Rechtfertigung dafür, daß die Bundesregierung (mit anderen Regierungen) dafür geradesteht, daß private Vermögen vor einem Verlust zu schützen sind. Einzig kann vorgebracht werden, daß in der Vergangenheit die Anlagerichtlinien für die Verwaltung von „schützenswerten“ Anlagen (Pension, Mündel etc.) auf Staatspapiere ausgerichtet war. Insofern ist der Vorwurf seitens der Banken, daß daraus durchaus eine Mitverantwortung der Regierungen resultiert, durchaus nachvollziehbar und damit die gegenwärtige aktuelle Schieflage bei den Banken auch als Fehleinschätzung über die absolute Sicherheit von Staatsanleihen zu begreifen.

Die Kontroverse um die Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung existert in Deutschland zwar schon seit 50 Jahren, jedoch ist sie dadurch überlagert worden, daß die Wachstumsraten Deutschlands in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Bildung von wertfixiertem und ertragsfixiertem Nettogeldvermögen in Form der Staatsanleihen möglich gemacht haben. Gleichzeitig ging damit einher, daß damit quasi auch Kredite an Unternehmen gegen konjunkturelle Schwankungen „abgesichert“ werden konnten, insofern als die permanent steigende Staatsverschuldung über den Nachfrageeffekt die Werthaltigkeit privaten Kapitals stützte.

Ein anderes Problem entstand nach Einführung des EURO und betrifft den Irrtum der Finanzmärkte, daß eine einheitliche Währung auch ein einheitliches Ausfallrisiko bedeutet. Das heißt, daß die niedrigen Zinssätze Folge einer vermeintlichen Verringerung des Anlegerrisikos waren und infolgedessen die Kreditvergabe vielfach ohne ernsthafte Bonitätsprüfungen erfolgte. Das Ergebnis dieser Fehleinschätzungen führte dann zu der Notwendigkeit, die notleidenden Institute mit nicht marktkonformen Instrumenten - mehr oder weniger künstlich - am Leben zu erhalten.

Die Strategie, die herrschenden Verhältnisse dadurch zu „retten“, daß die von den Finanzinstituten nicht adressierten Risiken nunmehr für diese konsequenzlos auf den Staat übertragen werden bedeutet, daß ordnungspolitisch ein Verstoß gegen die Prinzipien marktwirtschaftlicher Üblichkeiten vorliegt, welcher auch nicht gerechtfertigt werden kann, indem das Argument der Systemrelevanz über Gebühr strapaziert wird. Denn systemrelevant sind im Kapitalismus nicht die Akteure, sondern der Ausgleich von Interessen, welche sich über Märkte artikulieren. Wie man weiß, sind Preisverzerrungen aufgrund staatlicher Intervention stets die Quelle von Fehlallokationen.

Die in diesem Zusammenhang relevante Preisverzerrung ist die steuerliche Benachteiligung des Eigenkapitals gegenüber dem Fremdkapital, welche zu den eingetretenen Überschuldungsentwicklungen maßgeblich beigetragen hat, obwohl die damit einhergehende Fehlallokation von Geldvermögen, bisher in keiner Weise als Ursache für die gegenwärtigen Probleme identifiziert worden wäre. Aber ungeachtet des Fehlens einer angemessenen Ursachenanalyse wird das Verschuldungspotential des Staates durch eine universelle Rettungsphilosophie über Gebühr beansprucht, mit der Folge, daß das eigentlich dem privaten Sektor anheimfallende Problem der Absicherung von Forderungen nun auf die staatliche Ebene verschoben wird.

Die Übernahme von Verbindlichkeiten, die aus Fehlspekulationen von Finanzinstituten resultieren, kann aber nicht Sinn und Zweck der Staatsverschuldung sein. Daher erscheint es legitim, die dem Staat von dem Bankensektor aufgebürdeten Lasten dadurch zu neutralisieren, daß die übernommenen Verbindlichkeiten und Garantien des Staates durch eine Liquidisierung von Forderungen der Privaten kompensiert werden. Dabei ist nicht entscheidend, daß der Wegfall der Verzinsung der liquidisierten Staatspapiere die Geschäftsstrategie der betroffenen Finanzinstitute tangiert. Es geht also im wesentlichen darum, den Staat im Ausmaß der für den privaten Finanzsektor übernommenen Lasten zu entlasten, indem entgegen der ordnungspolitisch eigentlich korrekten Verfahrensweise der Nichtfinanzierung des Staatshaushaltes durch die Notenbank eine Finanzierung insofern in Frage kommt, als es nicht das Verschulden des Staates war, das zu den Überschuldungserscheinungen in vielen Staaten der EURO-Zone geführt hat.

Das Alternativkonzept - Schuldenprobleme mit neuen Schulden zu „bekämpfen“ - bedeutet essenziell, daß es hauptsächlich darum geht, sowohl die Vermögensbestandssicherheit der Staatsanleihen sowie den Zinsertrag für die Gläubiger zu erhalten, nicht aber darum ein Schuldenproblem zu lösen. Es wird zwar insofern gelöst, als ein weiterer Bürge in eine bestehende Kreditkette eintritt, so daß der Hauptzweck darin besteht, die Verzinsung der fraglichen Wertpapiere zu erhalten sowie die Forderung in ihrem Bestand abzusichern. So gesehen ist die Opposition gegen eine Finanzierung der Staatsschuld durch die Notenbank nicht eine Opposition, die von der Sorge über eine mögliche Geldentwertung getragen ist, sondern davon, daß die Staatsschuld nicht mehr eine garantierte und risikolose Verzinsung bietet. Denn dann müssen Ersparnisse eher in risikobehafteten Aktiva angelegt werden.

Aus diesen Gründen ist es daher geboten, den immer weniger tragbaren Lasten, welche aus der Bankenrettung den Staaten aufgebürdet werden dadurch zu begegnen, daß die Staaten im Ausmaß ihres Engagements im Rahmen der Rettung des Bankensystems in irgendeiner Weise durch die EZB bzw. durch die jeweiligen nationalen Zentralbanken von den von privaten Finanzinstituten erzeugten Verbindlichkeiten entlastet werden. Das kann dadurch erfolgen, daß der EFSF bzw. ESM eine Ermächtigung erhalten im Ausmaß der staatlichen Schuldübernahme eine direkte Finanzierung der Staatsschuld vorzunehmen; wahlweise könnte man auch einen Sondervermögen “Bankenrettung” per EZB-Kredit auflegen, welcher für die Staaten den Vorteil hätte, daß sie über einige Jahre auf eine Beanspruchung des Kapitalmarktes verzichten könnten, so daß zumindest für einige Zeit das staatliche Schuldenproblem nachhaltig entspannt werden könnte.

Die Mehrzahl aller Ökonomen werden sich gegen die Alternative stellen, einen gewissen Teil der Staatsschulden zu liquidisieren. Das begründet sich aus dem alten Fehlglauben, daß die Quantitätstheorie eine Verbindung zwischen Geld und Realgüter herstellt und damit unmittelbare Inflationsgefahren erzeugt werden. Daß das nur eine Scheinwahrheit ist, müßte inzwischen im Zuge der Aufblähung der internationalen Finanzmärkte fundamental anders interpretiert werden. Richtig für den vorliegenden Fall ist, daß dadurch hochliquide Aktiva, die sowieso jederzeit zur Refinanzierung bei der jeweiligen nationalen Zentralbank eingereicht werden können, zu Liquidität gemacht werden, ohne daß nun ein automatischer Rücktausch in ein zinstragendes Wertpapier, wie es üblicherweise im Rahmen der Revolvierung von Staatsschulden passiert, möglich ist. Die Alternative zu der Schuldenreduzierung ist die weitere Aufschuldung über das als nachhaltig tragfähig angesehene Maß hinaus, was jedoch mittelfristig zu der Gefahr führt, daß Staatsschuldverschreibungen zu einem unsicheren Engagement werden und wiederum die Gefahr besteht, die entsprechenden Forderungen abzuschreib zu müssen. Statt also langfristig das Risiko eines Staatsbankrotts mit nachfolgendem Schuldenschnitt einzugehen erscheint es erfolgversprechender, den Verschuldungsüberhang der Staaten über die EZB zu liquidisieren. Und solange der Nennwert von Staatsschuldverschreibungen sicher ist, kann die verlorengegangene Rendite von den Geldanlegern verschmerzt werden. Einen Ertrag nicht mehr zu bekommen ist etwas anderes, als das eingesetzte Geld zu verlieren!

Anders gesagt: das Liquidisieren von Staatsschulden ändert nicht die Nettogeldvermögensposition der Gläubiger sondern nur die Zusammensetzung von Vermögen. Dabei wird der Druck der Vermögensverwalter eben dieses Vermögen zinsbringend anzulegen dazu führen, daß – wie bei jedem ordentlichen QE – die Kurse der zinstragenden Wertpapiere steigen. Ob das Investitionsvolumen dann auf den Finanzmärkten verbleibt, oder tatsächlich für Investitionen in z.B. die Energieinfrastruktur geht, ist davon abhängig, welche Richtungsentscheidungen die Politik für die Zukunft fällt. Die Chancen sind da, sie müssen nur ergriffen werden!

Samstag, 21. April 2012

Begründung und Gedanken zu perspektivischen Verfahrensweisen zur Überwindung der Staatsschulden- und Wachstumskrise in der europäischen Union

1) Zur Ausgangssituation


Die Krise der europäischen Union bezieht sich seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Anschluß an die Überschuldungskrise der US-Hypothekenmärkte auf mehrere Aspekte:

Ø      Zum Einen erhielt, durch die Konsolidierungsbemühungen der EU-Staaten, der langjährige Trend zur Verletzung der Maastricht-Kriterien hinsichtlich des 60%-Kriteriums neue Nahrung
während

Ø      zum Anderen sich herausstellte, daß eine ausufernde Staatsverschuldung sich als erhebliches Hemmnis für eine verstetigende Wachstumspolitik erweist.

Eine umfassende Konzeption für die Neuausrichtung der europäischen Wachstumsstrategie, weg von der stets momentbezogenen Krisenbewältigung hin zu einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik, zugleich verbunden mit einer Beruhigung der Spannungen an den Finanzmärkten, kann und muß Gebot der Stunde sein.

2) Risiken der aktuellen Finanzverfassung


Die Gründe die eine Anpassung der Finanzverfassung im EURO-Raum zur Unterstützung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes erforderlich erscheinen lassen, finden sich in folgenden Punkten:

Ø      Von den Finanzmärkten wird das Erreichen der 100% Staatsschuldenquote mit äußerstem Mißtrauen begleitet, so daß davon ausgegangen werden kann, daß eine weitere Erhöhung der Schuldenstände zu untragbaren Zinslasten führen wird.
Ø      Die Finanzpolitik der EZB führt zu einem Reputationsverlust, welcher die Attraktivität des EURO als Reservewährung auf den internationalen Finanzmärkten in Frage stellt.
Ø      Die Beibehaltung eines niedrigen Zinsniveaus trägt zwar einerseits zu einem hohen ‚spread’ bei, der es den Banken ermöglicht, eingetretene Verlusten aus einer besseren Zinsmarge kompensieren zu können, bedeutet jedoch andererseits auch, daß – in Verbindung mit der Vollzuteilungspolitik des EZB-Systems – daß der Hang zu einer unsoliden Geschäftspolitik keinen fühlbaren zinsinduzierten Druck auf die Einhaltung erhöhter Bonitätsanforderungen ausübt.
Ø      Die Sparbemühungen der Staaten der EURO-Zone führen in der Tendenz zu einer Abschwächung der konjunkturellen Entwicklung, die eine Verstetigung des Wachstums in der EURO-Zone unwahrscheinlicher macht.
Ø      Es erfolgt ein ‚quantitative easing’ über Kanäle, die dem Geist der Stabilitätsunion zuwidersprechen und das in dieser Form lediglich zu einer Perpetuierung hoher Schuldenstände führt, ohne daß es zu einer Umlenkung der Finanzströme in produktive Investitionen kommt.

3) Strukturelle Problembereiche der EURO-Zone


Die ökonomischen Gründe, die in der Konzipierung des EZB-Systems zu finden sind, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Ø      Die Installierung eines nach demokratischem Verfahren (ein Land, eine Stimme) organisierten Abstimmungsprozesses führt zu einer systematischen Unterlegenheit der Stabilitätsfraktion im EZB-Rat.
Ø      Der Hang der nationalen Zentralbanken, hauptsächlich die Staatsanleihen des "eigenen" Staates vorbehaltlos als Sicherheit für die Ausgabe von Zentralbankgeld zu akzeptieren, führt dazu, daß die nationalen Risikoaspekte nicht in die Refinanzierungsbedingungen der jeweiligen Geschäftsbanken Eingang finden.
Ø      Die Durchleitung von Liquidität sowohl für Außenhandelsdefizite sowie für Kapitalflucht über den bedingungslosen Saldenausgleich des TARGET2-Systems führt zu einer unabdingbaren Refinanzierungsnotwendigkeit des anspruchnehmenden (überweisenden) nationalen Bankensystems über die kreditgewährende (intern) bzw. kreditnehmende (extern) nationale Zentralbank, mit der Folge der zunehmenden Verschlechterung der Besicherungsgrundlagen der Geldschöpfung derjenigen Banken, die den entsprechenden Zentralbankgeldabfluß zu garantieren haben.
Ø      Die Nutzung der ELA-Fazilitäten ohne die Bereitschaft, die globalen Rahmenrichtlinien des EZB-Rates einzuhalten führt zu einer Unterlaufung der EZB-Stabilisierungspolitik.
Ø      Die Festlegung des Primärziels des EZB-Systems auf die Erhaltung der Stabilität der Währung, verstanden als 2%-Ziel eines die EURO-Zone umfassenden Preisindex, führt in der Tendenz zu einer Vernachlässigung der wesentlich virulenteren Aufgabe, die bonitätstechnische Überwachung der Kreditinstitute sicherzustellen.

4) Grundlinien einer perspektivischen Gestaltung der EURO-Zone


Die Grundsätze, von denen sich das darzustellende Verfahren leiten läßt, sind in folgenden Punkten zusammengefaßt:

Ø      Die Erfüllung von Verträgen – auch ihrem Geist nach - ist eine unverrückbare Grundlage gesellschaftlicher und internationaler Kooperationsbeziehungen.
Ø      Die drohende Überschuldung fast der gesamten EURO-Gemeinschaft bedarf einer Entlastung, da sich die erreichten Schuldenstände in Zukunft als zu große Belastung zur Aufrechterhaltung eines prosperierenden Gemeinwesens erweisen könnten.
Ø      Eine Abschreibung von Forderungen gegen eine öffentliche Hand hat automatisch zur Folge, daß daraufhin eine Abschreibung von Forderungen auch und insbesondere "kleinerer" Sparer erzwungen wird, da Lebensversicherungen und Pensionsfonds einen erheblichen Anteil an der Finanzierung staatlicher Schuldenstände haben. Insbesondere dieser Aspekt stellt erheblichen sozialen und politischen Sprengstoff dar.
Ø      Die EURO-Zone ist finanztechnisch bisher noch nicht in gleicher Weise überschuldet, wie es bei der USDollar-Zone gegeben ist, da es in der EURO-Zone bisher noch nicht zu einer erheblichen Schuldenakkumulation der Zentralgewalt gekommen ist. (EURO-Bonds)
Ø      Die Dämonisierung der Finanzmärkte in Teilen der Öffentlichkeit übersieht, daß die Operationsweise von Finanzmärkten ein Spiegelbild der jeweiligen regulativen Struktur ist. Dennoch tragen die Banken eine gesellschaftlich tragende Rolle und sind daher in einer Wachstumsorientierung der Wirtschaftspolitik in entsprechender Weise mit eingebunden.
Ø      Die Erkenntnis, daß die Errichtung einer tragfähigen und nachhaltigen europäischen Währung bisher schon in Teilbereichen geglückt ist, begründet die aussichtsreiche Perspektive, daß mit einer zielgerichteten Nachjustierung in den problematischen Gestaltungsfragen zu einer nachhaltigen Lösung zugunsten aller beteiligten Staaten der EURO-Gemeinschaft gefunden werden kann.

5) Maßnahmen zur nachhaltigen Konsolidierung der EURO-Zone


5.1) Schuldenliquidisierung statt Schuldenschnitt


Zur Abwehr der derzeitigen Turbulenzen an den Kapitalmärkten wäre es sachgerecht und erforderlich EINMALIG einen "Lastenfonds Bankenrettung" aufzulegen, der von ALLEN Staaten der EURO-Zone einen Teil des Schuldenstandes übernimmt und so die Staatsschuldenquoten tendenziell Richtung Maastricht-konformen 60% drückt.

5.2) Neutralisierung der Schuldenlasten, Konsolidierungsbeitrag der EZB


Zur Konsolidierung der laufenden Defizite könnte dieser Teil der Staatsschulden, als 'consols' umgewidmet zu einem "Erinnerungszinssatz" von 0,1% (alternativ zu 10%, wobei die Zinserträge nach Einhaltung der Stabilitätskriterien verteilt werden) von der EZB oder einem von der EZB refinanzierten Sonderfonds gehalten werden. Dies kann mit Hilfe einer darauf abgestimmten Strukturpolitik zu einer Wachstumsphase führen, welche den Fehler vermeidet, eine Stimulierung der Realwirtschaft nur über die Beeinflussung des Zinssatzes erreichen zu wollen.

5.3) Emissionsverfahren Zentralbankgeld


Im Gegensatz zur gegenwärtigen Politik des EZB-Systems gibt die EZB ihre Vollzuteilungspolitik auf und geht dazu über Zentralbankgeld im Zinstenderverfahren amerikanischen Typs zu emittieren womit sich automatisch der Zinsfächer, der sich nach der Bonität der jeweiligen Geschäftsbank richtet, wieder aufspreizt, und so die Zunahme des Zentralbankgeldvolumens tendenziell wieder rückgängig gemacht wird.

5.4) Konsolidierung der Staatshaushalte


Die beteiligten Staaten verpflichten sich, die aus der Umwidmung der anteiligen Staatsschulden entfallenden Zins-Zahlungsverpflichtungen unmittelbar für die Reduktion des laufenden Staatsdefizits zu verwenden, so daß innerhalb weniger Jahre eine Rückkehr zu den immer noch gültigen Stabilitätskriterien des Maastricht-Vertrages zu erreichen sein könnte.

5.5) Beschränkungen der Refinanzierungsoptionen von NZBen


ELA-Fazilitäten dürfen nur zu einem Prohibitivzins erteilt werden, deren Erträge nach z.B. einem Stabilitätskriterium verteilt werden.
TARGET2-Salden werden nicht mehr nach dem einheitlichen EZB-Refinanzierungssatz sondern nach banküblichen Sätzen plus Stabilitätsprämie vergeben, die auch die Einschätzung des Kreditors über die Bonität des mittelbar in Anspruch nehmenden nationalen Bankensystems berücksichtigt.

5.6) Stimmverteilung im EZB-Rat


Die Stimmverteilung des EZB-Systems wird dahingehend geändert, daß die Stimmgewichte nach Maßgabe z.B. der Quote am EZB-System bestimmt werden.

5.7) Stärkung der europäischen Bankaufsicht (EBA)


Zur Vermeidung nicht nachhaltiger Finanzierungspraktiken in Problemländern sind die Kompetenzen der EBA zu erweitern, um so zu einer Effektivierung der Kontrolle hinsichtlich der Wahrung eines europäischen Bonitätsniveaus zu kommen. Wahlweise könnte eine Task-Force Bankenbonität für die spezifischen Probleme des EURO-Raumes installiert werden, um Interferenzen mit nicht EURO-Mitgliedern zu vermeiden.

6) Flankierende Maßnahmen zur Wachstumsförderung


Die Effekte des hier vorgeschlagenen (und unvermeidlichen) QE sind im Gegensatz zu den Erfahrungen der USA (wo sich gezeigt hat, daß die Erwartung einer Belebung der Wirtschaftstätigkeit allein über eine zinsinduzierte Transmission unbegründet war) darauf ausgerichtet, das allgemeine Verschuldungsniveau der EURO-Staaten zu senken. Die Liquidisierung der Investoren hat jedoch nicht die Stützung von Wertpapierkursen bzw. dazu korrespondierende Zinssenkungen zum Ziel, sondern die Finanzierung von unternehmerischen Potentialen. Einige wesentliche Lenkungsmaßnahmen könnten sein:

Ø      die Förderung der Bildung von Eigenkapital durch eine Anpassung der steuerlichen Vorschriften, welche derzeit die Finanzierung über Kredit gegenüber der Finanzierung über Eigenkapital bevorzugt. Dieser programmatische Punkt findet sich auch bereits in dem gegenwärtigen Koalitionsvertrag.
Ø      Erleichterung bei der Akquise von Eigenkapital, Entschlackung der Vorschriften bei Aktienemissionen
Ø      Erleichterung von ‚debt-to-equity swaps’ und Ausrichtung des Regelverfahrens bei drohender oder eingetretener Insolvenz am „Chapter 11“-Verfahren.
Ø      Die positiven Wirkungen, welche die „Abwrackprämie“ während der Krise entfalten konnte, läßt es aussichtsreich erscheinen ebenso Industrie- und Wirtschaftsförderung zu betreiben, indem man zur Investitionsförderung z.B. Steuergutschriften gewährt, die gegen Einkommens- oder Gewinnsteuern bis zu einem bestimmten Prozentsatz gegengerechnet werden können.

Die globale Zielrichtung besteht darin, daß Kreditkonsolidierung Vorrang vor Kreditakkumulation erhält und damit ein zusätzlicher automatischer Stabilisator zur Absicherung gegen konjunkturelle Risiken seine Wirkung entfalten kann.

7) Schlußbemerkungen


Die derzeitige Schuldenkrise von (bisher) einzelnen EURO-Staaten läßt keine Alternative zu einem europäischen QE zu, d.h. das derzeit anlaufende QE ist alternativenindifferent. Die Alternative die zu wählen ist, ist entweder die Perpetuierung des Staatsschuldenwachstums, welches einen permanenten Krisenmodus der europäischen Politik impliziert, oder die Stimulierung privater unternehmerischer Investitionen, deren Wachstumswirkungen – hier bietet sich zuvorderst der Energiesektor aufgrund der eingeschlagenen Energiepolitik an – zu solide finanzierter Beschäftigung und damit einer tendenziellen Entlastung der Versorgungspflichten der öffentlichen Hand beitragen.

Es ist zu erwarten, daß das vorgestellte (zu vervollständigende) Maßnahmenbündel dazu beiträgt, die Debatte um den Stabilitätsanspruch der EURO-Zone wieder auf die Füße zu stellen und die dirigistische sowie die destruktive Lösung - die Etablierung eines EU-Finanzministeriums mit Transferunion bzw. den Ausschluß eines EURO-Staates - überflüssig zu machen. Wo finanzielle Dinge anständig geregelt sind, wird ein "EU-Finanzminister", dessen staatsrechtliche Legitimation – auch hinsichtlich des einschlägigen Urteils des Bundesverfassungsgerichtes - derzeit bestenfalls im Nebulösen angesiedelt ist, entbehrlich. Denn in der Geldpolitik geht es nicht primär darum, durch welche Instrumente, für welche Zwecke Geld bewilligt werden kann; das ist erst die sekundäre Operation. Ziel von Geldpolitik ist primär die Etablierung eines einheitlichen Bonitätsniveaus, welches die Grundvoraussetzung ist, daß interregionale Salden einer Währungsgemeinschaft eben nicht zu strukturellen Defiziten führen, wie es in der Vergangenheit geschehen ist und somit die Freiheit des ordentlichen Kaufmanns und des verantwortungsvoll operierenden Staatswesens auch in Zukunft erhalten werden kann.

Weitere Links